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01.11.2025 · 12:00 Uhr
Feindbild »Ostjude«: Antisemitismus in der Weimarer Republik und seine Spuren in der Gegenwart

 
Verhaftung in der Berliner Grenadierstraße während einer antijüdischen Razzia (Bundesarchiv, Bild …


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Vortrag von Dr. Sebastian Elsbach und Ronny Noak

Antisemitismus war in der deutschen Geschichte nie ein statisches Phänomen, sondern wandelte sich beständig, je nach politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs verstärkte sich in der Weimarer Republik ein spezifischer Antisemitismus, der sich besonders gegen ostjüdische Migrantinnen und Migranten richtete. Diese waren vor Pogromen, Verfolgung und wirtschaftlicher Not aus Osteuropa nach Deutschland geflohen und suchten Schutz, Arbeit oder eine Schiffspassage nach Übersee. Doch anstatt Empathie zu erfahren, gerieten sie rasch in das Visier von Politik und Öffentlichkeit.

In der breiten Wahrnehmung galten »Ostjuden« nicht als Schutzbedürftige, sondern wurden als Bedrohung stilisiert: als »fremd«, »rückständig« und kulturell nicht integrierbar. Das antisemitische Feindbild des »ostjüdischen Fremdkörpers« verknüpfte sich mit nationalistischen und rassistischen Ideologien. Beispielsweise über das »jüdische« Berliner Scheunenviertel – ein jahrelanger Hort ausgeprägten jüdischen Lebens – wurde antisemitisch berichtet.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass in Folge der Novemberrevolution 1918 auch die Asylpolitik auf eine neue Grundlage gestellt werden konnte. Noch während des Weltkrieges war es zu willkürlichen Ausweisungen von »Ostjuden« gekommen. Rechte Parteien und ihre Presse schürten massiv den Hass auf und die Angst vor den Migrantinnen und Migranten. Gegen den Widerstand dieser Kreise setzte die sozialdemokratisch geführte Landesregierung von Preußen, als dem größten Teilstaat, auf eine humanitärere und rechtsbasierte Asylpolitik.

Preußens Innenminister Wolfgang Heine (SPD) suchte erstmals die Abstimmung mit jüdischen Interessen- und Betroffenenverbänden. Der politische Streit um seine »Ostjuden«-Erlasse führte nach Heines Amtszeit zu einer schrittweisen Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts, doch stellen die »Ostjuden«-Erlasse in der Rückschaueinen ersten Versuch in Richtung einer progressiveren Asylpolitik dar.

Bereits die frühen 1920er Jahre waren von antisemitischen Debatten geprägt, an welche die NSDAP anschließen konnte. Diese Mechanismen – die Konstruktion eines »fremden« und »gefährlichen« Judentums – wirkten im »Dritten Reich«, aber auch bis heute nach. In aktuellen antisemitischen Straftaten werden Bilder von jüdischer »Fremdheit« und »Bedrohung« reaktiviert, sei es in rechtsextremen, verschwörungsideologischen, islamistischen oder linken Kontexten. Überwunden geglaubte Feindbilder werden mit Tagespolitik vermengt, um dem eigenen Hass eine vermeintliche historische Tiefe zu geben.

Der Vortrag möchte zeigen, wie die Geschichte des Antisemitismus gegen Ostjuden in der Weimarer Republik nicht nur ein abgeschlossenes Kapitel ist, sondern bis in unsere Gegenwart reicht. Er beleuchtet die zentralen Diskurse und politischen Entscheidungen, die Kontinuitäten antisemitischer Feindbilder und fragt nach den Möglichkeiten historischer Aufarbeitung im Kampf gegen heutigen Antisemitismus. Der Vortrag beleuchtet, wie das Bild des »Ostjuden« als Projektionsfläche für gesellschaftliche Ängste diente, und zeigt auf, wie ähnliche Stereotype bis heute antisemitische Straftaten prägen – etwa durch Narrative von »fremden«, »nicht-deutschen« oder »bedrohlichen« Juden in aktuellen Kontexten.

Durch die Verknüpfung historischer und aktueller Beispiele wird deutlich: Antisemitismus ist wandelbar, aber seine Grundmuster bleiben oft erschreckend konstant – aber es kann interveniert werden, um Ressentiments zu zerstreuen und eine diverse Gesellschaft zu ermöglichen.

Dr. Sebastian Elsbach ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet in der Erwachsenenbildung mit dem Schwerpunkt Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur sowie als freier Referent in der historisch-politischen Bildung.Ronny Noak ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet als freier Referent in der non-formalen Erwachsenenbildung, erforscht und vermittelt aktuell die Geschichte des Volkshauses in Weimar und ist Redakteur bei Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Bildung und Forschung.Ort: VHS am Graben (Raum 304)

Im Rahmen des Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte in Kooperation mit der VHS Weimar.


Link:mehr Informationen

Samstag, 01.11.2025

12:00 - 13:30 Uhr

Veranstaltungsort:

VHS Weimar
Graben 6
99423 Weimar Karte


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